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Wenn Corona chronisch krankmacht

Patientenbeauftragter besucht Spezialambulanz in Bethel

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, kam jetzt im Kinderzentrum des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) in Bielefeld mit Betroffenen mit ME/CFS infolge einer Corona-Infektion ins Gespräch. Er versprach, sich weiter für die Anerkennung der Erkrankung und bessere Versorgungsstrukturen einzusetzen.

Finja ist 17 Jahre alt. Sie könnte ein unbeschwertes Leben führen. Zur Schule gehen, sich mit Freunden treffen, ihren Berufseinstieg planen. Doch nichts von alledem ist für die Gymnasiastin möglich. 2022 ist Finja nach einer Corona-Infektion chronisch krank geworden. Sie leidet an dem sogenannten ME/CFS-Syndrom, der Myalgischen Enzephalomyelitis. ME/CFS zieht Finja jegliche Energie aus ihrem Körper. Sie ist dauerhaft erschöpft, kann ihr Zuhause kaum verlassen, ist auf den Rollstuhl angewiesen und muss täglich in einer Kammer Sauerstoff einatmen. Bis die Krankheit diagnostiziert wurde, musste sie einen langen Weg gehen und viele Erniedrigungen in Kauf nehmen.

„Am schlimmsten ist, dass meine Krankheit von öffentlichen Stellen, in der Gesellschaft und auch zum Teil von Ärzten nicht ernstgenommen und anerkannt wird. Da wünsche ich mir einfach mehr Aufklärung“, sagte Finja im Gespräch mit Stefan Schwartze. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung hat Kinderzentrum Bethel besucht, das seit 2022 eine Spezialambulanz für Kinder und Jugendliche mit Post-COVID und ME/CFS aufgebaut hat, um sich ein Bild von den Herausforderungen und Bedürfnissen dieser jungen Patienten zu machen.

Schätzungen zufolge sind rund 40.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland von ME/CFS betroffen. Der Großteil von ihnen leidet aufgrund einer erlittenen Corona-Infektion daran, 25 Prozent von ihnen sogar schwer. Bis heute gibt es für die Betroffenen mit ihren komplexen und vielfältigen Symptomen nur wenige Anlaufstellen in Deutschland. Die Ambulanz in der Universitätsklinik für Kinder und Jugendmedizin ist eine davon. Die Patientinnen und Patienten kommen aus ganz Deutschland, die Anfragen sind hoch. Dennoch wird sie aus Bordmitteln bezahlt, weil die verantwortlichen öffentlichen Stellen im Bundesland/ in NRW die Notwendigkeit solcher Ambulanzen nicht anerkennen und die Finanzierung somit hinfällig ist. „Wir haben als Antwort auf unsere Anträge immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass diese Patienten problemlos in Arztpraxen behandelt werden können. Das ist natürlich bei der Intensität und Komplexität des Krankheitsbildes nicht möglich. Wir hoffen, dass hier endlich ein Umdenken stattfindet“, appelliert der Ärztliche Direktor des Kinderzentrums, Univ.-Prof. Dr. Eckard Hamelmann, an den Patientenbeauftragten Stefan Schwartze. Thorsten Kaatze, Vorsitzender Geschäftsführer des EvKB betont: „Würden wir keine eigenen Mittel für die Ambulanz einsetzen, gäbe es noch weniger Angebote für Patientinnen wie Finja in Deutschland“.

Finja ist froh, jetzt in Bethel Unterstützung gefunden zu haben. Auch Jannis (15) aus Soest fühlt sich „endlich ernstgenommen“. Seit 2022 war er fast gar nicht in der Schule. „Es ist, als würde ich ständig neben mir stehen. Ich bin stark erschöpft.“ Fast den ganzen Tag lang liegt er im Bett, an guten Tagen schafft er es, 15 Minuten lang am Hausunterricht teilzunehmen. „Mit Freunden treffen ist gar nicht drin.“

Betroffen lauschte Stefan Schwartze den Ausführungen der Jugendlichen, die per Videokonferenz zugeschaltet waren, um ihre Kräfte zu schonen. Er betonte die Dringlichkeit, das Bewusstsein für die Auswirkungen von Covid und anderen Infektionen zu schärfen und die gesellschaftliche Anerkennung der postakuten Infektionssyndromezu erhöhen.

„Die Betroffenen benötigen unsere volle Unterstützung. Es ist unsere Aufgabe, denen, die selbst nicht laut werden können, eine Stimme zu geben und dafür zu sorgen, dass sie die notwendige medizinische und gesellschaftliche Hilfe erhalten.“ Dafür wolle er sich weiterhin einsetzen, versprach er.

Jeremy Schmidt, Ärztlicher Leiter der Spezialambulanz im EvKB, betreut Tag für Tag junge Patienten wie Finja und Jannis. „Auch schon vor der Corona-Pandemie hat es die Erkrankung ME/CFS gegeben. Es hat aber durch die Pandemie einen deutlich höheren Stellenwert gewonnen“. Auch er erhofft sich eine stärkere öffentliche Wahrnehmung und Unterstützung für die Betroffenen sowie für die Forschung. „Es ist wichtig, dass wir uns in der Medizin und Gesellschaft dieser Erkrankung und diesen Kindern annehmen, die Erkrankung früher erkennen und effektiver behandeln und erforschen können. Es ist noch viel zu tun!“

Bildunterzeile:
Der Patientenbeauftragte des Bundes, Stefan Schwartze (3. v. links), informierte sich bei Diplom-Psychologin Juliane Venghaus, Jeremy Schmidt, Thorsten Kaatze und Univ.-Prof. Dr. Eckard Hamelmann über die Versorgungsstrukturen für Kinder und Jugendlichen mit ME/CFS im Kinderzentrum Bethel (v. links nach rechts)

Foto: Mario Haase