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Statement des Patientenbeauftragten Stefan Schwartze, MdB zu den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL)

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind Leistungen, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in der vertragsärztlichen Versorgung gehören. Dies sind beispielsweise Leistungen, für die keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen oder die noch nicht einer Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen wurden. Ärzt:innen bieten beispielsweise Zusatzvorsorgeuntersuchungen als IGeL an. Zu den IGeL gehören aber auch Atteste, soweit sie nicht von gesetzlichen Krankenkassen angefordert werden oder dem Krankheitsnachweis beim Arbeitgeber dienen, und Reiseimpfungen.

Ich verweise in der aktuellen Debatte auf die Ergebnisse des IGeL-Monitors (www.igel-monitor.de), der jährlich vom Medizinischen Dienst Bund herausgebracht wird. Hier finden Patient:innen zu den am häufigsten angebotenen IGe-Leistungen belastbare wissenschaftliche Aussagen und eine Bewertung, ob bei der jeweiligen IGeL der mögliche Schaden oder der mögliche Nutzten aus medizinischer Sicht überwiegt.

Im aktuellsten IGeL-Monitor von 2023 ist als Trend ein steter Anstieg von Leistungen zu erkennen, die in Ihrer Wirksamkeit kritisch zu bewerten sind. Beispielsweise waren hier von 55 untersuchten IGeL-Leistungen die meisten ohne Nutzen. Der Monitor ergab unter 6.000 befragten Versicherten auch, dass nur gut jeder Vierte (28 Prozent) weiß, dass es verbindliche Regeln beim Verkauf von IGeL in der Praxis gibt. Dazu gehört, dass Patientinnen und Patienten über den wahrscheinlichen Nutzen und mögliche Risiken oder Schäden durch die Leistung aufzuklären sind. Über den Nutzen wurden 78 Prozent informiert, über mögliche Schäden nur 56 Prozent. Fast jeder Fünfte (18 Prozent) gibt sogar an, dass seine Behandlung mit einer Kassenleistung vom Kauf einer IGeL abhängig gemacht wird. Das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) hat 2019 festgestellt, dass auf Basis aktuell vorliegender internationaler Studien mit über 200.000 Frauen nicht davon ausgegangen werden könne, dass bspw. eine Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung die Heilungschancen verbessert. Einige Fachverbände teilen diese Aussage nicht uneingeschränkt und haben sich darum dazu positioniert.

Die Debatte und die Ergebnisse des IGeL-Monitors zeigen, nicht selten überwiegen bei IGe-Leistungen die Risiken vor den Vorteilen einer Zusatzbehandlung. Ich halte solche Angebote sogar für schädlich, da sie Auswirkungen auf die Gesundheit haben können, die den Patient:innen im Moment der Entscheidung nicht bewusst ist. Falsch positive Ergebnisse zum Beispiel haben unnötige weitgehende Untersuchungen und eine oft hohe psychische Belastung zur Folge. Auf Grundlage dessen plädiere ich dafür, dass solche IGe-Leistungen nicht an Patient:innen verkauft werden sollten.

Unbestritten gibt es aber auch IGe-Leistungen, die für das jeweilige persönliche Bedürfnis sinnvoll sein können. Entscheidend ist, vor einer Entscheidung für eine kostenpflichtige Zusatzleistung alle Chancen und Risiken einer Maßnahme oder Behandlung im Vorfeld zu kennen, durch behandelnde Ärzt:innen aufgeklärt zu werden. Darum rate ich Patient:innen Bevor Sie sich für eine IGeL entscheiden, informieren Sie sich, ob diese Leistung für Sie sinnvoll ist. Einmal gezahlt, erhalten Sie die Kosten nicht von der Kasse zurück. Die Verbraucherzentrale, die das Portal www.igel-aerger.de betreibt, empfiehlt daher auch, im Vorfeld bei Ihrer Krankenkasse nachzufragen, ob eine IGeL möglicherweise als freiwillige Leistung übernommen wird. Eine Nachfrage lohnt sich auch bei begründetem Krankheitsverdacht, oder wenn Sie zu einer Risikogruppe gehören.

Als Patientenbeauftragter der Bundesregierung ist es mir ein wichtiges Anliegen, dieses Thema in den öffentlichen Diskurs zurückzuholen, denn die Reaktionen zeigen, dass es einen dringenden Informations- und Reformbedarf gibt. Unbestritten orientiert die Mehrheit der Ärzt:innen ihre Arbeit an den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin. Ich bin ihnen sehr dankbar für das, was sie täglich zum Wohl ihrer Patient:innen leisten. Was ich zugleich erwarte ist, dass Ärzt:innen die Patient:innen entsprechend ihrer gesetzlichen Pflicht über Nutzen und Risiken der medizinischen Maßnahmen ausreichend aufklären.

Danken möchte ich auch allen, die mich an Ihren persönlichen Erfahrungen teilhaben lassen. Die mannigfaltigen mir geschilderten Erlebnisse unterstreichen einmal mehr, wie relevant es ist, dass wir Informiertheit und Selbstbestimmung der Patient:innen fördern. Ich möchte alle dazu ermutigen, bei Gesundheitsleistungen jeder Art um eine verständliche Aufklärung und individuelle Bewertung zu bitten, um eine informierte Entscheidung für oder gegen eine Diagnostik oder Behandlung treffen zu können.